Rede von Dr. Mike Seckinger zum Gemeindehaushalt 2021

Wir dokumentieren die Rede unseres Fraktionssprechers Mike Seckinger, die er in der Haushaltssitzung des Haarer Gemeinderats am 24.11.2020 gehalten hat:

Lieber Herr Bürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren des Gemeinderats,
sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger,
sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Presse,

als erstes geht mein Dank an die Kolleginnen und Kollegen in der Verwaltung für die hervorragende Zusammenarbeit bei der Aufstellung des Haushalts 2021. Mein Dank gilt ebenfalls den anderen Fraktionen für die gute und sachorientierte Kooperation bei den Vorbesprechungen.

Haushaltspolitik als riskantes Glücksspiel?

Wir befinden uns in ungewöhnlichen, man könnte auch sagen verrückten Zeiten. Alle reden von massiven Steuereinbrüchen, bedingt durch die Effekte der Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie, wir aber haben eben einen Nachtragshaushalt mit dem größten Gewerbesteueraufkommen aller Zeiten beschlossen. Und trotzdem werden wir 2021 die größte Deckungslücke im Verwaltungshaushalts haben, die die Gemeinde bisher verkraften musste. Und im Jahr 2022 wird diese – soweit das vorherzusehen ist – noch anwachsen, es werden wahrscheinlich über 14 Millionen Euro fehlen.

Die Aufgaben der Gemeinde werden in diesen Zeiten jedoch eher größer als kleiner. Sie muss gerade jetzt neu entstehende Mängel ausgleichen und in den Ausbau der Infrastruktur investieren. Sie muss ein Gegengewicht zu den coronabedingten finanziellen und psychischen Belastungen setzen und die Leistungsfähigkeit der für ein funktionierendes Gemeinwesen notwendigen Institutionen und Organisationen sichern. Dies gilt für den sozialen, kulturellen, sportlichen und gewerblichen Bereich gleichermaßen. Alles andere würde die Situation zusätzlich verschlimmern. Zudem gibt es eine Reihe von Dingen, die getan werden müssen, um die Zukunftsfähigkeit der Gemeinde zu erhalten. Wir müssen unseren Beitrag zum Erreichen der Pariser Klimaziele leisten, die Klima- und Verkehrswende muss vorangebracht werden. Diese Aufgabe darf trotz angespannter Haushaltslage nicht ignoriert werden. Darüber hinaus sind Anpassungen sowie die schon seit längerem absehbaren Erneuerungsmaßnahmen in unserer Infrastruktur zu bewältigen.

Die Liste der Aufgaben ist lang und lässt sich in unterschiedliche Bereichen sortieren.

Soziales: Ein Ausbau der Kindertagesstätten-Kapazitäten wird weiterhin erforderlich sein. Nach der beschlossenen Erweiterung des Konrad-Kindergarten, wird es weiteren Bedarf ab 2024 geben (bisher nicht eingeplant). In der Jugendarbeit steht der Neubau des Dino an. Dieser war bis gestern noch in den Haushalt aufgenommen. Der jetzt bekannt gewordene Rückgang des Anteils an der Einkommenssteuer hat dazu geführt, dass wir das Projekt aus dem Haushalt streichen müssen. Das frustriert uns, denn wir wollten zeigen, der Gemeinde ist die Situation der Jugend nicht egal. Sobald es die finanzielle Situation erlaubt, steht das Projekt wieder oben auf der To-Do-Liste. Wir brauchen mehr Handlungsspielraum, um die Wohnungsnot zu beseitigen und Familien vor Obdachlosigkeit zu bewahren. Der Bau neuer Unterkünfte hilft, die zusätzlichen gemeindlichen Wohnungen helfen auch etwas, reichen aber bei weiten noch nicht aus. Im Seniorenbereich stehen wir in den nächsten Jahren vor der Aufgabe, die Infrastruktur zu verbessern (mehr Kapazitäten für die Tagespflege, neue Angebote). Hierfür ist in diesem Haushalt nichts vorgesehen.

Bildung: Auch wenn mit der Grundschule am Jagdfeld ein großes Schulprojekt vor dem Abschluss steht, werden wir weiter in Schulen investieren müssen (Ausbau Gymnasium, Ertüchtigung der bestehenden Grundschulen). Die hierfür erforderlichen Finanzmittel stehen nicht im Haushalt. Die vhs, der Haarer Bildungsträger für Erwachsenenbildung, wird in der Zukunft kaum mit weniger Zuschüssen auskommen können. In der mittelfristigen Haushaltsplanung der Gemeinde erscheint jedoch ein Rückgang der Fördersummen erforderlich.

Klimaschutz und Energiewende: Es werden ein paar Schritte in die richtige Richtung gegangen, z.B. die Selbstverpflichtung zum nachhaltigen Bauen, der erneute Versuch bei der Umrüstung der Straßenbeleuchtung auf LED voranzukommen, die Entwicklung von quartiersbezogenen Maßnahmen zur energetischen Sanierung und regenerativen Stromerzeugung,die PV-Anlagen, die bei Renovierungen und Neubau inzwischen meist ohne Diskussion installiert werden. Aber das wird noch nicht ausreichen, die erforderliche Reduktion der CO2-Emissionen zu erreichen. Wir brauchen einen Investitions- und Zeitplan für die energetische Sanierung gemeindlicher Gebäude, wir brauchen ein Ausbauprogramm für PV-Anlagen und eine deutliche Verringerung der mobilitätsbedingten  Umweltbelastungen. Hierfür fehlen entsprechende Ressourcen im Haushalt.

Umsetzung Mobilitätskonzept: In den letzten Jahren gab es einen bemerkenswerten Beteiligungsprozess, um ein neues Mobilitätskonzept für Haar zu entwickeln. Dieser Prozess zeigt: Viele Haarer sind bereit zur Verkehrswende etwas beizutragen. Jetzt geht es darum, die vielen guten Ideen in die Realität umzusetzen. Im Haushalt sind dafür zwar Planungskosten, aber kaum Investitionsmittel eingestellt, auch in der Vorausschau für die nächsten Jahre sind sie noch nicht berücksichtigt.

Ortsentwicklung: Wir stehen vor der Aufgabe beim Thema Ortsentwicklung nicht nachzulasen. Hierzu gehört es, den innerörtlichen Bereich weiter aufzuwerten (Stichwort Leibstraße, Bahnhofstraße) und unsere guten Standortfaktoren zu pflegen. Die Beteiligung am ISEK-Programm und die Überlegungen zur neuen Nutzung des alten Postgebäudes weisen in die richtige Richtung. Aber auch hier gilt, es braucht eine genaue Abwägung, wann wir uns welche Maßnahme leisten können. Es stehen neben den diskutierten neuen Projekten auch die Sanierung des Bürgerhauses und der Hallenbäder auf unserer Liste.

Gewerbegebiete: Um all diesen dringlichen Aufgaben nachkommen zu können, sind wir darauf angewiesen, in absehbarer Zeit das Gewerbesteueraufkommen in der Gemeinde zu erhöhen. Es gibt angesichts der potenziell entwickelbaren Flächen keinen Grund daran zu zweifeln, dass dies auch gelingen wird. Aber es wird seine Zeit brauchen.

Das Verhältnis zwischen den verfügbaren Ressourcen und den zu bewältigenden Aufgaben ist in ein Ungleichgewicht geraten. Wir als Gemeinderat sind gefordert, die richtigen Prioritäten zu setzen und Entscheidungen zu treffen, die bei aller notwendigen Sparsamkeit keine langfristigen Schäden verursachen. Auch wenn sich unsere Zuwendungsempfänger auf magere Jahre einstellen müssen, dürfen die Einsparungen nicht so weit gehen, dass wir den sozialen Zusammenhalt und das Erreichen der Klimaziele gefährden. Hierfür brauchen wir mehr gemeinsame Anstrengungen, mehr Bürgerengagement, mehr Kreativität und die Bereitschaft, das eine oder andere Lieblingsprojekt ein wenig in die Zukunft zu schieben.

Im Moment müssen wir unsere Entscheidungen auf der Basis vieler unsicherer Planungsdaten treffen. Wir können nicht realistisch prognostizieren, wie sich die Einnahmeseite der Gemeinde entwickeln wird, wir haben Fragezeichen bei der Prognose von Bevölkerungszahlen, wir wissen nicht, welche Zumutungen noch aus der Pandemie auf die Gemeinde und die für die Lebensqualität in Haar so wichtigen Institutionen und Organisationen zukommen. Vor diesem Hintergrund erinnern die Haushaltslage und die haushaltspolitischen Entscheidungen an ein riskantes Glücksspiel. Das ist keine gute Basis für eine solide Kommunalpolitik.

Wir Grüne werden uns für die Realisierung entscheidender sozialgesellschaftlicher und ökologischer Projekte und Maßnahmen einsetzen, um Haar lebenswert und zukunftsfähig zu erhalten, auch um den Preis, dass dafür andere Dinge nicht mehr finanziert werden können.

Dr. Mike Seckinger
Fraktionssprecher von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN

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