Ist „Haar pleite“ oder haben wir „reichlich Rücklagen“? Gerade während der Aufstellung des Gemeindehaushalts für 2024 wurde intensiv beraten, gekürzt und gestritten. Dieser Artikel versucht, mit Information und Sachlichkeit zu diesem Thema beizutragen. Spoiler: Weder ist Haar morgen pleite, noch steht die Lage für sorgenfreies Geldausgeben.
Grundlagen
Wenn man kommunale Haushalte verstehen will, was eine Grundlage fürs Mitreden sein sollte, dann muss man sich mit der Methode der Kameralistik beschäftigen. Mit Kameralistik oder kameraler Buchführung wird die Art der Haushaltsführung in öffentlichen und kirchlichen Gemeinden bezeichnet. die auch in auch in Haar angewendet wird. Im Gegensatz zur sonst vorherrschenden doppelten Buchführung (Doppik), zeichnet sich die Kameralistik hauptsächlich dadurch aus, dass sie (nur) die Zahlungsflüsse der Gemeinde betrachtet, also die Einnahmen und Ausgaben pro Jahr. Diese direkte Gegenüberstellung macht es leicht, zu erkennen, ob die laufenden Ausgaben von den laufenden Einnahmen gedeckt sind, oder ob hier Lücken auftreten, die aus Rücklagen geschlossen werden müssen.
Während bei der doppelten Buchführung Soll und Haben aufgelistet werden, fehlt bei der Kameralistik die Haben-Seite praktisch vollständig. Kauft die Gemeinde nun ein Grundstück oder ein Gebäude, wie 2021 in Haar geschehen, so “verschwindet” das eingesetzte Kapital schlagartig und man muss eine separate Liste der gemeindlichen Liegenschaften bemühen, um den Überblick zu behalten.
Verwaltungs- und Vermögenshaushalt
Der nächste Schritt zum Nachvollziehen eines Gemeindehaushaltes ist die Trennung in Verwaltungs- und Vermögenshaushalt. Im Verwaltungshaushalt werden alle laufenden Ein- und Ausgaben erfasst, während der Vermögenshaushalt einmalige Investitionen wie beispielsweise Neubauten und Käufe erfasst. Hinzu kommen – hoffentlich – Rücklagen, aus denen die Gemeinde schöpfen und Investitionen tätigen kann. Zwischen diesen drei „Töpfen“ wird jedes Jahr Geld hin- und herbewegt. Es ergibt sich also das linke Bild. Für des Jahr 2024 wurde beispielsweise ein Volumen von 87 Mio. € im Verwaltungs- und 28 Mio. € im Vermögenshaushalt beschlossen (Alle Zahlen gerundet). Dies ist in der rechten Abbildung dargestellt. Wir wissen aber schon heute, dass sich diese Zahlen durch Nachträge noch deutlich verändern werden, Änderungen können leider zum Positiven wie zum Negativen geschehen.
Aus dem rechten Diagramm sieht man auch, dass die Gemeinde für 2024 relativ viel Geld (ca. 25 Mio. €) den Rücklegen entnehmen muss und den Haushalten zuführen wird. Ein Teil erklärt sich als Einmaleffekt aus der Kreisumlage, die heuer mit zweijährigen Verzug aus den Steuereinnahmen von 2022 gezahlt werden muss. Hinzu kommt aber auch der deutliche Rückgang der laufenden Gewerbesteuereinnahmen, der die Entnahme aus der Rücklage nötig macht.
Einnahmen und Ausgaben
Natürlich fließt nicht nur Geld zwischen den Haushalten und der Rücklage, sondern die wesentlichen Gelder sind Einnahmen und Ausgaben, die es sowohl im Verwaltungs- als auch im Vermögenshaushalt gibt. Die Zuordnung ist manchmal nicht sehr intuitiv, aber als Richtschnur gilt wieder das Kriterium, ob es einmalige oder wiederkehrende Einnahmen oder Ausgaben sind.
In dieser Darstellung sieht man jetzt die einzelnen größeren Posten des Etats und man kann sich die Frage stellen, welche Einnahmen und Ausgaben, gerade bei knapper Kassenlage zugunsten der Kommune beeinflusst werden können.
Steuern
Am meisten wird über die Höhe der Gewerbesteuer diskutiert. In dem vergangenen Jahrzehnt lag sie oft bei 20 Mio. € und mehr pro Jahr. Für das Jahr 2024 rechnet die Kämmerei mit einem Aufkommen in Höhe von 10,5 Mio. €, Die Einnahmen aus der Gewerbesteuer zu erhöhen, ist das gemeinsame Interesse aller Ratsfraktionen. Hierfür müssen sich neue, Gewerbesteuern zahlende Betriebe in Haar ansiedeln. Damit dies gelingt, ist die Ausweisung neuer Gewerbeflächen geplant bzw. sollen bestehende umgenutzt werden. Allerdings scheint uns Grünen die starke Fixierung des Bürgermeisters auf die Entwicklung der Finckwiese kontraproduktiv. Viele Chancen, beispielsweise für die Gutswiese oder die Brunnerstraße werden zu wenig stringent verfolgt oder bleiben gar ungenutzt.
In der Diskussion und der Wahrnehmung unterbewertet sind die kontinuierlich steigenden Einnahmen, die der Gemeinde aus der Einkommenssteuer zustehen. Diese bemisst sich aus der Einwohnerzahl und ihrer Steuerkraft. Sie ist derzeit die wichtigste Steuerquelle, wird aber von den anderen Fraktionen gelegentlich negiert oder kleingeredet. Aus unserer Sicht lohnt sich ein behutsamer aber kontinuierlicher Wohnungsneubau nicht nur sozial, weil er neuen Wohnraum schafft, sondern auch steuerlich, denn er erhöht langfristig die Einnahmen der Gemeinde.
Zu dem Thema Steuern gehört auch, dass circa die Hälfte der Steuereinnahmen an den Landkreis in Form der Kreisumlage und der Gewerbesteuerumlage weitergegeben werden muss. Dieses Verfahren ist durchaus fair, denn es schafft einen Ausgleich zwischen steuerstarken und -schwächeren Gemeinden auf der Landkreisebene. Der Landkreis finanziert daraus beispielsweise weiterführende Schulen wie derzeit die Erweiterung des Ernst-Mach-Gymnasiums. Die Höhe der an den Landkreis weiterzugebenden Mittel sind von der Gemeinde nicht beeinflussbar, sie berechnen sich auf der Basis der vom Kreistag getroffenen Beschlüsse. Ein ähnlicher Ausgleich findet auch bayernweit statt, von ihm wird Haar voraussichtlich erstmals 2025 profitieren, als Ausgleich für die geringen Einnahmen im Jahr 2023.
Zuweisungen, Gebühren, Mieten und Erstattungen
Die Höhe der Zuweisungen sind durch Landes- und Bundesgesetze geregelt und können von uns als Gemeinde nicht beeinflusset werden, wie beispielsweise die Zuschüsse für Kitas und Sozialleistungen.
Sehr wohl veränderbar sind aber Gebühren, wie zum Beispiel Eintrittspreise in Bäder oder Friedhofsgebühren. Bevor man sich hier für massive Erhöhungen entscheidet, gilt es aber die sozialen Auswirkungen gegen die in der Summe und im Verhältnis zu dem Gesamtvolumen des gemeindlichen Haushalts überschaubaren Mehreinnahmen zu stellen. Bei allen finanziellen Schwierigkeiten der Gemeinde, dürfen die Gebühren nicht so stark steigen, dass beispielsweise ein Freibadbesuch für Familien zu teuer wird und sie so von der sozialen und kulturellen Teilhabe ausgeschlossen werden. Dem werden wir Grüne uns weiterhin konsequent entgegenstellen.
Die Gemeinde hat beträchtliche Miet- und Pachteinnahmen. Auch hier kann man über eine Erhöhung nachdenken. Erst kürzlich hat der Gemeinderat – gegen unsere Stimmen – ein neues Konzept zur Mietpreisfestsetzung für gemeindliche Wohnungen beschlossen (Bericht). Die Kommune hat keinen Grund sich an den absurden Mietpreisvorstellungen in unserer Region zu beteiligen. Vielmehr besteht aus unserer grünen Perspektive die Aufgabe, die Mietkosten so niedrig wie möglich zu halten. Selbstverständlich müssen die notwendigen Investitionen für den Bau und den Unterhalt durch die Mieten erwirtschaftet werden, aber die gemeindlichen Wohnungen haben aber nicht den Zweck, großen Profit zu erwirtschaften. Durch eine zurückhaltende Steigerung von Mieten könnte es gelingen einigen hundert Menschen wenigstens eine Teilentlastung gegenüber dem “Mietwahnsinn” in der Region zukommen zu lassen.
Bei den Erstattungen handelt es sich um Gelder für Leistungen, die die Kommune für andere erbringt, beispielsweise die Durchführung der Europawahl. Leider zahlt die Kommunen hierbei oft drauf, da die Erstattungen nach Pauschalen abgerechnet werden, die inzwischen nicht mehr der Realität entsprechen.
Verwaltungs- und Betriebsaufwand
Diese Ausgabeposition klingt etwas bürokratisch, wird aber besser verständlich, wann man sieht, dass sich dahinter beispielsweise die Kosten für den Bauhof, Strom und Heizung der Gemeindegebäude oder für den Unterhalt von gemeindlichen Fahrzeugen verbergen. Diese Ausgaben sind in Grenzen durch die Kommune beeinflussbar, beispielsweise kann die Anschaffung neuer Fahrzeuge für die Feuerwehr oder den Bauhof in einem begrenztem Umfang durchaus geschoben werden.
Die Heizkosten der Gemeinde sind, wie überall, nach dem Abkoppeln vom vermeintlich günstigen russischen Erdgas, gestiegen und werden ab dem Haushaltsjahr 2025 voraussichtlich wieder sinken. Die Ausgaben könnten durch eine von uns Grünen wiederholt eingeforderte energetische Sanierung kommunaler Liegenschaften deutlich und für lange Zeit gesenkt werden, auch wenn hierfür kurzfristig eine Ausgabensteigerung für die erforderlichen Investitionen notwendig wäre. Neben der Kosteneinsparung wäre es auch ein dringend benötigter Beitrag zum Klimaschutz. Der Anschluss von Schulen, Bädern und Bürgerhaus an die Geothermie-Fernwärme wird uns von kurzfristigen Preisschwankungen der fossilen Energieträger befreien und zudem den CO2-Ausstoß deutlich reduzieren.
Personalkosten
In den letzten Jahren sind die Personalkosten der Gemeinde stark gestiegen, dies hat mehrere Ursachen: der Wachstum des Ortes macht auch einen Ausbau der Verwaltung unabdingbar, es gibt mehr Personal in den gemeindlichen Kitas und nicht zuletzt gab es 2023 und 2024 spürbare Lohnerhöhungen im öffentlichen Dienst. Auch in der Zukunft werden die Personalausgaben der Gemeinde weiter steigen. Wir setzen aber darauf, dass das große Wachstum der letzten Jahre erst einmal vorbei sein wird. Die Abteilungen im Haarer Rathaus scheinen jetzt gut aufgestellt zu sein, eine konsequente Umsetzung der Digitalisierung, wodurch auch immer mehr gemeindliche Serviceleistungen online angeboten werden können, wird hoffentlich ebenfalls zur Entlastung der Verwaltung beitragen.
Zuschüsse
Hinter dieser Überschrift verbergen sich die Ausgaben, die in der politischen Diskussion schnell einmal als freiwillige Ausgaben bezeichnet werden. Im Kern sind es die Ausgaben, mit denen eine Gemeinde das Gemeindeleben positiv beeinflussen kann, die zudem in Teilen gesetzlich festgelegt sind.
Hierzu gehören u.a. die für das Jahr 2024 geplanten 5,1 Mio. € für die Kindertageseinrichtungen, die Zuschüsse für Jugendarbeit, für Sport, für das Haarer Vereinsleben, für die Nachbarschaftshilfe, die Musikschule und die Volkshochschule. Bei letzterer wurde aufgrund eines Mehrheitsbeschlusses im Gemeinderat – gegen unsere Stimmen – leider überproportional viel gespart.
Bei der aktuellen Haushaltslage ist allen klar: Die Zuschüsse können erst wieder wachsen, wenn sich die Haushaltssituation verbessert. Aber ebenso klar ist, dass eine hoffentlich vorübergehende Haushaltsdelle nicht dazu führen darf, dass bestehende Strukturen zerstört und später mit viel Aufwand und noch mehr Geld wiederaufgebaut werden müssen.
Vermögenshaushalt
Hier gibt es nur wenige Einnahmen, beispielsweise Zuschüsse zu Baumaßnahmen von Land oder Bund oder Rückflüsse von Krediten, die wir den gemeindlichen Töchtern, wie den Gemeindewerken gegeben haben. Wichtig erscheint uns hier die Ausgabeseite. Denn hier verstecken sich die Maßnahmen, die Haars Zukunft prägen können: neue Kitas und Schulen, Geothermie (durchaus auch über Kredite finanziert), Busbahnhof, Neugestaltung Leibstraße, Dino-Neubau und vieles mehr. Die 2 Mio. €, die hier für 2024 angesetzt sind, stellen einen Minimalansatz dar, der nicht ausreicht, die notwendigen Zukunftsprojekte, die sich alle Fraktionen wünschen, anzupacken und umzusetzen. Eine nachhaltige Haushaltspolitik muss auch in Zeiten knapper Kassen, wie wir sie jetzt haben, die langfristigen Entwicklungen im Blick behalten. Investitionen, die erforderlich sind, nicht zu tätigen kommen die Gemeinde auf Dauer teuer zu stehen kommen. Deshalb sind Investitionen, die sich mittelfristig rentieren, wie beispielsweise Wohnungen oder Geothermie, auch über Kredite zu finanzieren.
So schaut es wirklich aus
Weiter oben wurde schon angedeutet, dass die nachgelagerte Zahlung der Kreisumlage das Bild der Gemeindefinanzen verzerrt und verschleiert. Diese Verzerrung ist einfach herauszurechnen, wenn man die Umlage separat betrachtet. Nimmt man nicht den kameralistischen Blick ein, sondern betrachtet Soll und Haben, dann sind die Ausgaben für die Umlage zeitlich anders einzusortieren. Die Umlage für 2024 wurde 2022 erwirtschaftet und steht seither in den Rücklagen, die Umlage für 2026 muss 2024 erwirtschaftet werden. Legt man dies der Darstellung zugrunde, dann ergibt sich dieses Bild:
Man sieht, dass die Umlagen-korrigierte Nettoentnahme aus den Rücklagen deutlich geringer als die real ausgewiesene ausfällt. Dennoch bleibt ein strukturelles Defizit, das die Gemeinde möglichst bald ausgleichen muss. Nur – es macht einen großen Unterschied, ob wir von einer Lücke von 6 Mio. € oder von 22 Mio. € sprechen. Im Jahr 2025 wird es im Übrigen Zuwendungen von Landesebene geben, sodass wir im kommenden Jahr einen ausgeglichenen Haushalt erwarten. Dennoch muss die Gemeinde neue Einnahmequellen erschließen, insbesondere auch, um sich die notwendigen Spielräume für neue, nicht nur wünschenswerte, sondern dringend gebrauchte Projekte zu eröffnen.
In diesem Sinne kann die Eingangsfrage so beantwortet werden: Haar ist nicht „pleite“, dieses Szenario droht auch nicht kurz- oder mittelfristig. Dennoch braucht Haar neue Finanzmittel, um den Gestaltungsspielraum für Zukunftsprojekte zu erhalten bzw. zu erweitern.
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