Rede von Dr. Mike Seckinger zum Gemeindehaushalt 2022

Wir dokumentieren die Rede unseres Fraktionssprechers Mike Seckinger, die er in der Haushaltssitzung des Haarer Gemeinderats am 30.11.2021 gehalten hat:

Lieber Herr Bürgermeister,
sehr geehrte Damen und Herren des Gemeinderats,
sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger,
sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Presse,

als erstes geht mein Dank an die Kolleginnen und Kollegen in der Verwaltung für die hervorragende Zusammenarbeit bei der Aufstellung des Haushalts 2022. Es war dieses Jahr nicht immer einfach, die Diskussionen bisweilen hitziger als sonst. Mein Dank gilt ebenfalls den anderen Fraktionen für die gute und sachorientierte Kooperation bei den Vorbesprechungen.

Ein Haushalt ohne Plan?

Wie alle wissen, die gemeindlichen Einnahmen befinden sich in einer Umbruchsituation. Ein großer Gewerbesteuerzahler ist gegangen, die Coronafolgen auf die Gewerbesteuer sind noch unbekannt und wann wir neue Gewerbesteuerzahler für Haar begeistern werden, scheint noch ungewiss. Wir haben also eine wenig vorausberechenbare Situation. Doch ist das Grund genug für einen Haushalt ohne Plan? Eigentlich steht unsere Gemeinde gut da und hat viel Potenzial.

Kommunalpolitik hat einen Gestaltungsauftrag – gerade in unsicheren Zeiten!

Die Aufgabe der Kommunalpolitik ist es, einen inneren Zusammenhalt in der Gemeinde herzustellen, so dass die Menschen gerne in der Gemeinde leben, sich für Haar einsetzen und sich mit Haar identifizieren. Der innere Zusammenhalt fällt dann leichter, wenn man sich auf die Gemeinde als verlässlichen Partner stützen kann, der für eine nachhaltige Infrastruktur sorgt, soziale und ökologische Themen im Auge behält und sich für gute Bedingungen für wirtschaftliche Aktivitäten einsetzt. Auch sollte eine Gemeinde Probleme und Herausforderungen, unterschiedliche Interessen und Bedarfe aufgreifen, dazu beitragen, Gräben zu überwinden und eine wechselseitige Akzeptanz und Anerkennung zwischen denen zu fördern, die unterschiedliche Positionen vertreten oder verschiedene Lebensentwürfe haben.

In den letzten Jahrzehnten haben wir in Haar dafür einiges getan: Wir haben als Reaktion auf den dramatischen globalen Klimawandel den Klimanotstand erklärt und uns damit eine Richtschnur für politische Entscheidungen vorgegeben. Wir haben ein kommunales Wohnungsbauunternehmen gegründet, um einen Beitrag zur Schaffung preiswerten Wohnraums zu leisten. Wir haben die soziale Infrastruktur ausgebaut (Bsp. Kindertagesstätten, Maria-Stadler-Haus, Bürgerstiftung, gemeindliche Spendenprogramm), Kulturförderung betrieben, ein Mobilitätskonzept verabschiedet, neue Richtlinien für das Bauen erarbeitet, Rahmenpläne für die Ortsentwicklung aufgestellt, das „Stadt“marketing ausgebaut, zur Gründung einer Wohnungsbaugenossenschaft aufgerufen u.v.a.m. Mit anderen Worten: eigentlich haben wir die Weichen gestellt, die Richtung scheint klar.

Aber trotz der Notwendigkeit, dem Klimawandel entgegen zu wirken, soziale Schieflagen und Unterstützungsbedarfe aufzufangen (man denke nur an die zahlreichen Nutzer:innen des Haarer Tisches), bürgerschaftliches Engagement zu stärken und uns als innovative Gemeinde zu beweisen, verfallen wir angesichts der befürchteten Einnahmedelle – so zumindest die Aussage dieses Haushaltsplanes – in Schockstarre.

Klar, der prognostizierte Einbruch der gemeindlichen Einnahmen erfordert entschiedenes Handeln. Das Bauen von Luftschlössern würde weder unserer Verantwortung gerecht noch auf Dauer gut gehen. Aber muss man deshalb seinen Kompass verlieren?

Warum haben wir Stunden und viel Energie damit vergeudet, über im Verhältnis zu der Haushaltssumme lächerliche Kleinstbeträge zu diskutieren – kann man nicht da oder dort noch hundert Euro bei dem einen oder anderen Haarer Verein einsparen –, anstatt sich ernsthaft über die Frage der Priorisierung der großen Aufgaben Gedanken zu machen? Warum inszenieren wir den Haushaltsplan als ein Worst-Case-Szenario und vertrauen nicht ein klein wenig darauf, dass unsere Aktivitäten zur Wirtschaftsförderung und die Attraktivität unseres Standortes in den kommenden Jahren neue Unternehmen nach Haar bringen werden?

Mit Müh und Not haben wir uns zumindest zu drei zukunftsorientierten Entscheidungen durchringen können. Die eine Entscheidung ist: Wir haben endlich den Neubau des Dinos in den Haushalt genommen. Ein Projekt, mit dem wenigstens drei unserer gemeindlichen Aufgaben vorangebracht werden: Erstens: wir fördern sozialen Zusammenhalt, in dem wir das schon lange Notwendige für Jugendliche tun, die seit Beginn der Coronakrise viel zurückgesteckt haben und ihre Solidarität mit Menschen aus anderen Altersgruppen bewiesen haben. Wir stellen ihnen einen neuen und den heutigen Anforderungen angemessen Treffpunkt zur Verfügung. Zweitens: wir ersetzen ein Gebäude mit einer katastrophalen energetischen Ökobilanz und tragen damit ein winziges Bisschen zur Erreichung des 1,5-Gradzieles bei. Und drittens zeigen wir Innovationskraft, wenn es uns gelingt, das Gebäude in einer Cradle-to-Cradle-Bauweise zu realisieren.

Die zweite Entscheidung ist die geplante Übertragung zweier Wohngebäude an die KWH – unserem gemeindlichen Wohnungsbauunternehmen –, mit der Auflage, die energetische Sanierung zeitnah zu starten. Die Bewohner:innen der Vaterstettener Straße warten schon lange darauf.

Eine dritte Entscheidung ist uns im Moment noch leicht gefallen, nämlich der Beginn einer Rahmenplanung in der Ortsmitte. Hier kommen die wirklichen Kosten aber auch erst in den nächsten Jahren auf uns zu. Die Planung umfasst das Kerngebiet unserer Gemeinde und stellt die Weichen dafür, wie wir in Zukunft in Haar miteinander leben wollen.

Natürlich beinhaltet ein Haushaltsplan mit einer Gesamtsumme von rund 100 Mio. € eine große Anzahl einzelner kleiner und größerer Projekte. Natürlich freuen auch wir uns, wenn wir die notwendigen Instandhaltungen vornehmen und bei der Digitalisierung weiterkommen. Es ist gut, das Bürgerhaus und den Gasthof zu renovieren und so in der Ortsmitte wichtige soziale und kulturelle Orte zu erhalten. Gott sei Dank kommen wir unseren Verpflichtungen bei den Kindergärten durch Renovierungsmaßnahmen nach und planen schon einmal Geld für ein zukunftweisendes Konzept der ganztägigen Bildung von Grundschulkindern ein. Wir schaffen nach langen Diskussionen neue Stellen in der Gemeinde, um die Aufgaben einer wachsenden Gemeinde besser bewältigen zu können, auch wenn diese Stellen hierfür noch nicht ausreichen. Wir planen nach unnötigen Verzögerungen endlich den Bau des Busbahnhofs. Aber im Kern beschränkt sich alles auf defensive Reaktionen. Das Gestalterische scheint abhanden gekommen, der Kompass verloren. Deshalb sprechen wir von einem Haushalt ohne Plan.

Was in den nächsten Jahren angegangen werden muss!

  • Wir brauchen eine mittelfristige Sanierungsplanung für den gemeindlichen Gebäudebestand und eine konsequente Umstellung auf Photovoltaik und andere energieeinsparende Lösungen, ansonsten haben wir keine Chance, unsere Klimaverpflichtungen einzuhalten.
  • Wir brauchen weiterhin gemeindlichen Wohnungsbau, als einen Beitrag den stetigen Mietpreissteigerungen etwas entgegenzusetzen, und so Haar für alle Einkommensgruppen attraktiv zu halten.
  • Wir brauchen konkrete weitere Schritte zur Umsetzung des Mobilitätskonzepts, ansonsten bleiben wir bei der von allen, naja fast allen, gewollten Verkehrswende stecken, bevor wir richtig angefangen haben.
  • Wir müssen uns als verlässlicher Partner für Vereine und soziale Organisationen erweisen, gerade in schwierigen Zeiten. Wir brauchen einen gezielten Ausbau sozialer Strukturen, um den zu erwartenden Bedarfen der wachsenden Haarer Bevölkerung gerecht zu werden.
  • Wir brauchen gemeindliche Unternehmen, z. B. die Gemeindewerke, die ihrer Verantwortung gerecht werden, Haar zu einer nachhaltigen und klimafreundlichen Gemeinde auszubauen.
  • Kurzum, wir müssen unsere gemeindlichen Leitlinien endlich selbst ernstnehmen!

 

Trotz der deutlichen Kritik an dem Haushalt werden wir Grünen ihm zustimmen, da er das Ergebnis ernsthafter und intensiver Verhandlungen des Kollegialorgans Gemeinderat ist. Mehr Grüner Weitblick oder Optimismus war angesichts der um sich greifenden Schockstarre aufgrund der Einnahmedelle offensichtlich nicht zu erreichen.

 

Dr. Mike Seckinger, Fraktionssprecher von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN
Ulrike Olbrich, Fraktionssprecherin von BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN

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